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Schulen auf dem Weg zur Inklusion - Anmerkungen zur Rolle der Eltern

Inklusion wird seit einigen Jahren als deutsches Pendant zu (engl.) inclusion verwendet. „Im Gegensatz zum Begriff Integration ist der Begriff Inklusion normativ: Er beschreibt, wie die Gesellschaft sein soll. Menschen mit Behinderung gehören selbstverständlich dazu und werden nicht erst im Laufe von Prozessen nachträglich einbezogen.“

Katrin Grüber, Zusammen leben ohne Barrieren, St. Augustin / Berlin 2010, S. 55.

Vortrag von Dr. Matthias Pfeufer, 26. Mai 2011

Schulen auf dem Weg zur Inklusion – Anmerkungen zur Rolle der Eltern

Vorbemerkung
„Ich habe keine Lehre. Ich zeige nur etwas. Ich zeige Wirklichkeit. Ich zeige etwas an der Wirklichkeit, was nicht oder zu wenig gesehen worden ist. Ich nehme ihn, der zuhört, an die Hand und führe ihn zum Fenster. Ich stoße das Fenster auf und zeige hinaus.“
Martin Buber, Werke I, München 1968, S. 1114

Notwendige Präzisierungen (I)
Inklusion wird seit einigen Jahren als deutsches Pendant zu inclusion verwendet. „Im Gegensatz zum Begriff Integration ist der Begriff Inklusion normativ: er beschreibt, wie die Gesellschaft sein soll. Menschen mit Behinderung gehören selbstverständlich dazu und werden nicht erst im Laufe von Prozessen nachträglich einbezogen.“
Katrin Grüber, Zusammen leben ohne Barrieren, St. Augustin / Berlin 2010, S. 55.

Notwendige Präzisierungen (II)
Die UN-Konvention „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ hat sämtliche Lebensbereiche im Blick. Explizit mit dem Thema „Bildung“ befasst sich nur ein Paragraph (§ 24). Dennoch wird die Konvention in der Öffentlichkeit fast ausschließlich in ihren (möglichen) Auswirkungen für den Bildungsbereich diskutiert.

Integration ist nicht gleich Inklusion

Problemanzeige
„In der Diskussion um die neue Inklusionspädagogik werden anthropologische, ethische und religiöse Erörterungen vernachlässigt.“
Karl Ernst Nipkow, Menschen mit Behinderung nicht ausgrenzen. Zur theologischen Begründung und pädagogischen Verwirklichung einer „inklusiven Pädagogik“, in: Zeitschrift für Heilpädagogik 56 (2005) 4, S. 122-131, hier S. 123.

Dieser Problemanzeige ist auch heute zuzustimmen, auch wenn inzwischen einige philosophische und theologische Reflexionen vorliegen. Inwieweit diese Überlegungen von den Schulverwaltungen
und Bildungspolitikern wahrgenommen und anerkannt werden, ist völlig offen.

Beispiel einer kirchlichen Position
Inklusion meint pädagogisch u. a.:

  • alle Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit ihren individuellen Besonderheiten, nicht nur die mit Behinderung in den Blick zu nehmen

  • „normal ist, verschieden zu sein“ (Richard von Weizsäcker)

  • die dichotome Sichtweise von Menschen „mit und ohne“ aufzugeben

  • die Bildungsqualität aller Lernenden zu verbessern

  • die Schule an die Schüler/innen anzupassen und nicht die Schüler/innen an die Schule

  • Selektionsmechanismen, Abschulung, Stigmatisierung und Beschämungen aufzugeben

  • gerechte Teilhabe in allen Bildungs- und Lebensbereichen zu verwirklichen

Positionspapier der ALPIKA-AG „Sonderpädagogik in Schule und Gemeinde“
zur inklusiven evangelischen Bildungsverantwortung, Heilsbronn 5.-7. Mai 2009



Theologische Vergewisserungen

  • Anthropologische Reflexionen: Der Mensch in seiner Gott entsprechenden Vielfalt (Jeder Mensch ist mit allen Besonderheiten von Gott gewollt.)

  • Theologische Begründungen: Die Gleichwertigkeit der Verschiedenen (Angleichung von Differenz „nach oben“ und „nach unten)

  • Ethische Reflexionen: Umgang mit Heterogenität in der Gemeinschaft (die Gemeinschaft als „Leib Christi“, vgl. 1 Kor 12,12ff)


Vgl. Wolfhard Schweiker, Theologische Grundlagen und kirchliche Stellungnahmen zur Inklusionsdebatte in Schule und Gesellschaft, Ms. 2009.


Inklusion als Entwicklungsaufgabe
Inklusion kann nicht von oben verordnet, sondern muss als Entwicklungsaufgabe verstanden werden. Die Maxime für den schulischen Bereich lautet dabei:
„Alle Kinder sollen möglichst uneingeschränkt an allen Angeboten, Hilfen und Maßnahmen, die für ihr seelisches, geistiges und leibliches Wohl sowie ihre optimale
Entwicklung notwendig sind, gleichberechtigt partizipieren können. Und das von Anfang an.“
Pius Thoma, Inklusion – eine Entwicklungsaufgabe für alle Schulen,
in: paed. Aus der Praxis für die Praxis, 1/2010, S. 1-3, hier S. 1.

Gesetzentwurf zur Änderung des BayEUG
Art. 30b Inklusive Schule
(1) Die inklusive Schule ist ein Ziel der Schulentwicklung aller Schulen.
(3) Schulen können mit Zustimmung der zuständigen Schulaufsichtsbehörde und der beteiligten Schulaufwandsträger das Schulprofil „Inklusion“ entwickeln. (…) 3Unterrichtsformen und Schulleben, sowie Lernen und Erziehung sind auf die Vielfalt der Schülerinnen und Schüler mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf auszurichten.

Die Rolle der Eltern
Art. 41 BayEUG (Änderungsentwurf)
(1) Die Erziehungsberechtigten entscheiden, an welchem der im Einzelfall rechtlich und tatsächlich zur Verfügung stehenden schulischen Lernorte ihr Kind unterrichtet werden soll; (…)
(3) Die Erziehungsberechtigten eines Kindes mit festgestelltem oder vermutetem sonderpädagogischem Förderbedarf sollen sich rechtzeitig über die möglichen schulischen Lernorte an einer schulischen
Beratungsstelle informieren.
(4) Die Erziehungsberechtigten melden ihr Kind (…) an der Sprengelschule, einer Schule mit dem Schulprofil „Inklusion“ oder an der Förderschule an. (…) 3Sofern nach Einschätzung der Schule ein
Sonderfall vorliegt (…), unterrichtet die Schule die Erziehungsberechtigten darüber, das Kind nicht aufzunehmen.

Der „Index für Inklusion“

Aktuelle Beobachtung
Jede Schule ist bereits jetzt – bewusst oder unbewusst – eine Schule der Vielfalt. Sie geht nur je individuell damit um und setzt z. T. willkürliche Grenzen für die Aufnahme von Schülerinnen und Schülern. Beispiel: „Klassenleben“ (Film von Hubertus Siegert)

„Nachbemerkung"
"Wer Inklusion will, sucht Wege, wer sie verhindern will, sucht Begründungen.“
Hubert Hüppe, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen